Kostüme von Vinicne

Im Rahmen des Projektes „Kulturell-kreative Belebung der Traditionen (Heritage SK-AT), der aus den Mitteln des Europäischen Fonds für Regionalentwicklung  im Rahmen des Kooperationsprogramms Interreg V-A Slowakei – Österreich gefördert wird, sucht das Kultur-und Bildungszentrum Malokarpatské osvetové stredisko in Modra nach historisch und kulturell wertvollen Gegenständen, um sie anschließend zu digitalisieren. Jeder historischer Gegenstand wird  in 2D aufgenommen und fachkundig beschrieben, um in dieser Form für weitere Generationen aufbewahrt zu werden.

In dem malerischen Winzerdorf Viničné gibt es eine bemerkenswerte Trachtensammlung, die von Frau  Marta Ifčicová, geb. Balážová, aufbewahrt wird. Frau Marta ist in dem Dorf geboren und lebt dort ihr ganzes Leben lang. Sie hat sich besonders viel in dem örtlichen gesellschaftlichen und kulturellen Geschehen engagiert, hat im Laientheater gespielt, Kulissen geschaffen, Kulturveranstaltungen moderiert, Gedichte bei Hochzeiten, Taufen und anderen Anlässen vorgetragen. Sie hat eine schöne und wohlklingende melodische Stimme, und dank ihrer konnten wir die Geschichte der Trachtensammlung entdecken.

Die Oma von Frau Marta, Frau Mária Bučková, hatte sechs Schwestern. Diese fanden ihre Lebenspartner außerhalb des Dorfes Viničné und ließen nach ihrer Heirat ihre ortstypischen Trachten bei der Oma von Frau Marta in Obhut.  Diese bewahrte sie ihr ganzes Leben lang auf. Nach dem Tode der Oma wurden die Trachten fürsorglich von Frau Marta übernommen. Die Vorliebe dieser Dame für Trachtenkleidung war im Dorf allgemein bekannt. Deswegen hat auch Frau Anna Melicharová in ihrem Vermächtnis ihre eigene Trachtensammlung an die Frau Marta überlassen. Die Sammlung der Volkskleidungsstücke von Frau Marta hat sich auf diese Weise noch mehr erweitert.   

Die Volkskleidung, bzw. die Tracht, ist die Bezeichnung für die Kleidung der kleinen Leute aus der Dorfgegend. Die Trachten teilten sich je nach ihrer Bestimmungsart in Berufstrachten – also die Alltagskleidung – und in Festtagstrachten. Eine Sonderkategorie darunter war die religiöse Kleidung – wie z.B. die Hochzeitstrachten. Das Aussehen der Tracht hing von vielen Aspekten ab – vom Alter, Geschlecht, Familienstand (Kinder, Ledige, Verheiratete, Verwitwete), von der Religion, dem Beruf oder der Region. Jede Region zeichnete sich durch bestimmte Merkmale aus, die sich  auch in dem Aussehen ihrer Tracht  widerspiegelten.

Für das Dorf Viničné waren Blumenstickereien mit Wegwarten, Rosen, Tulpen, Glücksklee und Vögeln besonders typisch. Die Stickerei verzierten vor allem weibliche Festtagshauben und –Handschuhe sowie Festtags-Männerhemde.  

Die weibliche Festtagstracht von Viničné besteht aus Hemd, Leibchen, Unter- und Oberrock, Schürze und Haube. Zuerst zog man das weiße Leinen- oder Baumwolle-Hemd an.  Die Ärmel waren an den Schultern reichlich mit  farbfrohen Stickereien mit überwiegenden Blumen- und Geometriemustern verziert und mit Spitze beendet. Die gleiche Spitze wurde auch für Ärmel-Stehbündchen eingesetzt. Auf das Hemd wurde das Leibchen angezogen, das immer reichverziert war und in verschiedenen Farbvariationen vorkam. Jedes Leibchen war damit ein eigenes Kunstwerk. Eine große Bandschleife mit farbigem Blumenmuster auf einer weißen Unterlage wurde um den Hals gebunden. Nach dem Hemd und dem Leibchen wurde der zumeist gesteifte Unterrock angezogen. Dieser war meistens schlicht, spärlich verziert und in Weiß. Darauf wurde das Oberrock aus weißem Stoff mit Schmuck angezogen. Auf den Oberrock kam eine schwarze Schürze, die seitlich und am unteren Rand mit schwarzer Spitze verziert war und meistens aus Lüster oder Gloth bestand. Um die Taille wurde ein breiter schwarzer Satinband mit Rückenschleife und mit hängenden Bandenden gebunden. Zuletzt wurde die ortstypische reichverzierte Haube mit goldenen Stickereien aufs Haupt aufgesetzt. Ledige Mädchen trugen allerdings keine Hauben.  

Die männliche Festtagstracht von Viničné bestand aus einem Hemd, einer Hose, einem Leibchen und einem Hut. Das Hemd war üblicherweise aus Leinen oder aus weißer Baumwolle. Am Hals und am Oberkörper war es reichlich bestickt, häufig waren dabei auch die Namensinitialen des Träger angegeben. In den Stickereien wiederholten sich die gleichen Muster wie bei der örtlichen weiblichen Tracht, nur waren die weniger häufig vertreten. Auch der Stehkragen war mit farbigen Stickereien verziert. Von ihm ging eine Bandschleife hinaus, die am Hals gebunden wurde. Bei Männern war die Bandschleife schlicht, weiß und ohne Schmuck. Am Ärmelsaum gab es Spitze, die selbstverständlich schlichter war als bei den Frauen. Die Hosen waren dunkel, meistens schwarz, aus grober Baumwolle und ohne Verzierung. Das Leibchen gab es in allen möglichen Regenbogenfarben. An jeder Seite gab es eine Hosentasche und die Knopflöcher waren deutlich umstochen. Das Leibchen war meistens aus Brokat oder aus Kaschmir. Die Männer trugen Hüte, die mit engen blumenbemusterten Hutbänden verschönert waren.

Die alltägliche Berufskleidung war bezüglich des Materials und der Verzierung viel schlichter. Bei der festlichen wie auch alltäglichen Volkskleidung von Kindern waren die Stickereien zwar farbenfroh, doch schlicht bemustert.  

In der Sammlung von Frau Marta findet man nicht nur vollständige Festtagstrachten für Frauen und Männer, sondern auch einige Kindertrachten. Einige Stücke sind sogar mit der gestickten Jahreszahl versehen (dabei wiederholen sich die Jahreszahlen 1923,1927,1928). Gleichzeitig verfügt  man auch über einige Berufstrachten, bzw. Alltagstrachten.

Zu den wertvollsten Sammlungsstücken gehören die Korporale und die Decken für große Kommoden. Sie bestehen aus Leinentuch und sind reich geschmückt mit prachtvollen Stickereien von Blumen- und Tiermustern. Die Stickereien beinhalten die Aufschrift IHS, ein Kreuz oder evtl. einen Namen mit Jahreszahl. Es geht tatsächlich um besonders wertvolle Einzelstücke.

Die Trachtensammlung von Frau Marta ist wirklich hinreißend. Faszinierend ist nicht nur der Umfang der Sammlung, sondern auch das profunde Wissen von Frau Marta über jedes einzelne Sammelstück – und nicht zuletzt auch ihre unverfälschte Liebe zu Volkstradition und -Trachten. Wir verabschieden uns von ihr voll von Zufriedenheit darüber, dass es noch immer auch solche Menschen gibt, die sich dafür einsetzen, dass das Erbe unserer Vorfahren auch für die künftigen Generationen erhalten bleibt.  

Vielen Dank, Frau Marta, dafür, dass wir einen Einblick in ihre prachtvolle Trachtensammlung nehmen konnten.